Einige Anmerkungen zur „Chronik der Oberprima 1933/34“ Die Idee der O I des Gymnasiums Marienberg, Eindrücke des letzten Schuljahres in einer selbstgestal- teten Chronik zu erfassen, ist eine originelle Idee und hebt sich damit ab von den sonst üblichen sog. „Bierzeitungen“. Die vorliegende Chronik erzielt ihre Wirkung aber weniger durch die heute nur schwer lesbaren Beiträge zumeist in Sütterlin, sondern durch die witzig karikierenden Zeichnungen. Sie verstehen es nämlich, treffend zu jeder geschilderten Szene - ihrer stilistischen Linie durchwegs treu – Details einzufangen, die erst durch die Abbildung die Situationskomik oder Originalität erfahrbar werden. Mit dieser Schülerin und Zeichnerin dürfen wir auch die Initiatorin der Chronik vermuten, zumindest was die Anlage der vorliegenden Dokumentation anbelangt: Es lässt sich mühelos die Vorgehensweise bei der Planung und Umsetzung der Anfertigung nachvollziehen: In einem normalen Schulheft, wie es damals üb- lich war, wurden Seiten für bestimmte Ereignisse reserviert, manchmal mit gestochener und gut lesbarer Schrift mit einem Titel versehen. Dann wurden über die Seite verstreut von der Illustratorin kleine Zeichnungen eingefügt, um die herum die für die jeweilige Darstellung bestimmten Mitschülerinnen ihre Ausführungen setzten, an einigen Stellen - für die Nachwelt schwer entzifferbar – hineingequetscht. Die Jahresangabe 1933/34 lässt zunächst aufhorchen, denkt man doch sogleich an Hitlers Machtergreifung. In der Tat gibt die offizielle Schulchronik Marienberg hierfür mehr her, als die vorliegenden, völlig unpolitischen Ausführungen der Oberprimanerinnen. Die offizielle Marienberg-Chronik zeigt, dass man sich Aufrufen zu Hilfsaktionen, sportlichen Treffen und Informationsveranstaltungen in Form von Vorträgen, aber auch Live-Radioübertragungen nicht entzog, jedoch bestrebt war, die traditionellen Wege des schuleigenen Erziehungskonzepts nicht zu verlassen. Dies wird durch die Oberprima-Chronik bestätigt, wenn sich die 21 Mädchen recht arglos geben, mit großem Respekt gegenüber ihren Lehrerinnen, zumal den Ordensangehörigen. Man kann fast schon von einer Fan-Gemeinde für die anscheinend noch junge Klassenlehrerin Schw. Johanna Dominika sprechen. Arglos möchte man die Oberprimanerinnen von 1933/34 bezeichnen, die sich über Schoko-Sahne-Bon- bons genauso freuen können wie über einen Martinszug mit selbst gefertigten Laternen. Dem Leser der Chronik wird der Unterschied zu heutigen Abiturientinnen drastisch vor Augen geführt: Während die heutige Generation mit individueller Förderung, Flexibilität, Repräsentationsvermögen und Ich-Stärkung aufwächst, gaben sich die Schulabsolventinnen devot im Blick auf die Autorität und das Wis- sen ihrer Lehrkräfte, Anordnungen in Fragen von Kleidung, Verhalten und Umgangsformen wurden nicht hinterfragt. Seite 116 G Y M N A S I U M M A R I E N B E R G 1 9 3 3 / 3 4